Reisebericht Kosovo

Vor der nächsten Verlängerung des Bundeswehrmandats KFOR haben wir Kosovo besucht, um uns über die Lage vor Ort zu informieren. Im Vordergrund standen dabei die Themen Rechtstaatlichkeit, Migration und Militäreinsatz.

I) Rechtsstaatsentwicklung (Bericht Keul)

Gesprächspartner und -partnerinnen:

Frau Alexandra Papadopoulou, Leiterin EULEX Mission
Bern Thran, stellvertretender Missionsleiter
Thomas Hofmann, Leiter des Security und Safety Department
Sylvia von Wlakanova, Leiterin des deutschen Einsatzkontingentes
Frau Marx-Leitenberger, Präsidentin der Richter
Abdelard Thahiri, Justizminister
GIZ:  Legal and administrative Reform Project - LARP
Lawyers Association Norma 

1) EULEX-Mission

Wir kommen zu einem Zeitpunkt, an dem die größte zivile Rechtsstaatsmissionen der EU aller Zeiten nicht nur weiter reduziert, sondern auch das Mandat qualitativ verändert wird. Seit wenigen Wochen ist klar, dass die letzten EULEX Richter, die selber Recht gesprochen haben, bis Ende Juni das Land verlassen werden. EULEX wird künftig nur noch eine beratende Funktion haben und nicht mehr selbst Recht sprechen durch sogenannte „embedded judges“. Von der ursprünglichen Größe von 1200 Missionsmitarbeitern bleiben noch 500, davon etwa die Hälfte, also 250 internationale MitarbeiterInnen. Zoll und Strafvollzug seien bereits in kosovarischer Hoheit und würden auch funktionieren. Die Polizei sei auf einem für den Balkan üblichen Niveau und würde künftig weiter durch „monitoring“ und „advice“ unterstützt. Zu aktiven Einsätzen seien die EULEX Polizisten aber auch bereits seit 3-4 Jahren nicht mehr angefordert worden. Es bliebe noch eine polnische Hundertschaft und insgesamt seien noch 19 deutsche Polizisten dabei.

Am schwierigsten sei die Lage noch für die Justiz. Vor allem wenn es um Kriegsverbrechen geht oder organisierte Kriminalität – beides betrifft gerade auch Regierungsmitglieder – seien mehr politischer Wille und mehr Kapazitäten nötig. Hier erwarten alle mit Spannung den Moment, in dem die ersten Fälle an dem vor einem Jahr eingerichteten Sondergericht für Kriegsverbrechen in Den Haag angeklagt werden. Werden die eigenen kosovarischen Institutionen die Kraft haben, auch eigene Regierungsmitglieder zu verhaften und nach Den Haag auszuliefern?

Bis auf die „special chamber“ am „supreme court“, die für die Privatisierung des ehemaligen sozialistischen Volkseigentums zuständig ist, haben alle Richterinnen und Richter ihre Fälle bereits an die kosovarischen Richter übergeben. In den nächsten Wochen werden dies auch die verbliebenen 7 Richter der 20-köpfigen „special chamber“ getan haben. Auch die Staatsanwälte haben die Fälle bereits übergeben. Laut dem Justizminister seien auch zahlenmäßig genug kosovarischen Staatsanwälte vorhanden, um die Arbeit zu übernehmen. Schwieriger sei es bei den Richtern – da gäbe es definitiv noch nicht genug. In Mitrovica gab es bis Herbst 2016 nur reine EULEX Gerichte. Inzwischen arbeiten dort auch gemischte Gerichte, in deren Kammern die serbische Richterschaft integriert wurde. Das ist besonders bemerkenswert, da auch die Rechtsgrundlagen völlig unterschiedlich sind und die einen noch serbisches Recht studiert haben und immer noch studieren, während das neue kosovarische Recht eine wilde Mischung aus anglo-amerikanischem Rechtssystem und europäisch kontinentalem Rechtssystem ist.

Obwohl EULEX eine EU Mission ist haben die Amerikaner einen starken Anteil daran. Vor allem während der UNMIK Zeit bis 2008 wurde das Recht unter deren Einfluss entwickelt. Das eigene Rechtssystem zu implementieren ist immer ein großer Vorteil, auch für die eigenen wirtschaftlichen Interessen. Die Kampagne des Justizministeriums „Law made in Germany“ kam hier offensichtlich entweder zu spät oder zu schwach an. Dabei ist das deutsche Recht international hoch angesehen und wäre auch für den Kosovo, als Land mitten in Europa, sicherlich passender als der Einfluss des anglo-amerikanischen Case Law. Immerhin beim Zivilrecht hat man nicht alles neu geschrieben, sondern zu 70 % die alten serbischen Rechtsgrundlagen weiter verwendet.

Eins der größten Probleme des Kosovo bleibt die Privatisierung des Volkseigentums. Zur Verdeutlichung eignet sich u.a. das deutsche Feldlager in Prizren, dass demnächst für zivile Projekte genutzt werden soll und von dem auch versierte Juristen nicht sagen können, in wessen Eigentum es sich befindet. Als ehemaliges serbisches Militärgelände ist es nach dem Krieg, wie anderes Volkeigentum auch, von der UNMIK- Verwaltung übernommen worden. UNMIK hat das Gelände der Bundeswehr im Rahmen eines unentgeltlichen Pachtvertrages übergeben und die Bundeswehr wird das Gelände dementsprechend an UNMIK zurückgeben. Diese wird das Gelände dann wieder an die GIZ vermieten, die derzeit einen Betreiber für die zivile Nachnutzung sucht. Es gibt aber niemanden, dem UNMIK das Gelände übereignen könnte, denn die UN sind zur Neutralität verpflichtet und können daher auch keinen kosovarischen Staat anerkennen. Die bis heute grundlegende UN Resolution 1244 betont nach wie vor die Unverletzbarkeit der Souveränität der Republik Serbien.

Deswegen existiert die UNMIK- Treuhandanstalt bis heute. Sie repräsentiert nach wie vor auch Staatsbetriebe vor der „special chamber“ des „supreme court“. Dort hängen derzeit 20.000 Fälle wegen unklarer Eigentumsverhältnisse. Die Wirtschaft kann so nicht investieren und auch die Arbeitnehmer, denen laut Gesetz 20 % der Privatisierungserlöse der Staatsbetriebe zustehen, können so ihr Geld nicht erhalten. Einzig und allein eine Einigung mit Serbien kann den völkerrechtlichen Makel der Staatswerdung des Kosovo langfristig überwinden und Rechtssicherheit für alle Beteiligten schaffen. Erst kürzlich haben die Präsidenten beider Ländern Vucic und Thaci einen Gebietsaustausch im Rahmen einer abschließenden Einigung ins Spiel gebracht. Da die internationale Gemeinschaft allerdings immer noch befürchtet, dass ein Gebietsaustausch erneut mit Vertreibungen einhergehen würde, hat man diese Lösung strikt abgelehnt. Inwieweit diese Gefahr tatsächlich reell ist vermögen wir auf Grundlage eigener Erkenntnisse nicht zu sagen. Wir stellen aber fest, dass alle internationalen Gesprächspartner von einer solchen Gefahr ausgehen und daher strikt gegen einen Gebietsaustausch sind. Bleibt somit nur der Anreiz eines EU Beitritts für Serbien, dass sich weiter um die sonstigen Beitrittsbedingungen bemühen werden muss. Und im Kosovo werden bis dahin die Aufarbeitung der Kriegsverbrechen der alten UCK Kämpfer und ein entsprechenden Generationenwechsel an der Regierungsmacht erfolgen müssen.

3) LARP-Projekt der GIZ

Das LARP Projekt der GIZ läuft seit 2009 und konzentriert sich vor allem auf den Aufbau der Verwaltungsgerichtsbarkeit durch Aus- und Fortbildung der Richterschaft. Durch LARP wird u.a. ein Studentenaustausch zwischen Mitrovica und Prishtina organisiert, wo die einen serbisches Recht und die anderen kosovarisches Recht studieren. Auch kosovo-serbische Richter werden durch LARP an die Richterakademie in Prishtina gebracht, wo sie in kosovarischem Recht geschult werden. Die Rechtsgrundlagen im Kosovo seien soweit auf guten Stand und die Richterschaft sei weitgehend unabhängig von politischem Einfluss. Die Akzeptanz und die Umsetzung der Gerichtsurteile durch die Verwaltung seien allerdings noch nicht ausreichend. So akzeptieren die Behörden noch nicht wirklich, dass das Gericht das letzte Wort hat und die Gerichte verweisen teilweise die Entscheidung zurück an die Behörden. Auf erstinstanzlicher Ebene gibt es bislang gar keine Verwaltungsgerichte, sondern nur eine einzige Kammer mit 7 Richtern am Berufungsgericht in Prishtina.

Der Justizminister selbst berichtet uns, dass das Gesetz zur Reform der Verwaltungsgerichtsbarkeit schon auf dem Weg sei und demnächst in allen 7 Gerichtsbezirken bürgernahe Verwaltungsgerichte aufgebaut werden. Überhaupt hat der Minister in seinen 9 Monaten Amtszeit eine sehr beeindruckende Zahl an Gesetzesinitiativen auf den Weg gebracht: Korruptionsbekämpfung, Einziehung von Vermögen bei strafrechtlicher Verurteilung, Whistleblowerschutzgesetz, genderneutrales Erbrecht und eine Erhöhung des Haushaltes für 60 neue Richterstellen. Bleibt zu hoffen, dass all das Realität wird. In unserem Gespräch hat der Minister einen durchaus glaubwürdigen Eindruck gemacht.

4) Lawyers Association NORMA

Das Erbrecht ist auch Thema bei unserem Gespräch mit den Rechtsanwältinnen von NORMA. Frauen werden regelmäßig dazu gedrängt, auf ihr Erbe zu verzichten. Selbst wenn die Option auf einen Verzicht im Gesetz wie geplant gestrichen wird, braucht es offensichtlich mehr Wandel in der Gesellschaft als eine Gesetzesänderung, um dafür zu sorgen, dass die Frauen ihr Erbe auch tatsächlich behalten. Frauen haben in der Regel kein Vertrauen in die Behörden und der Mentalitätswechsel wird noch Jahre dauern. Beim Sorgerecht für nicht eheliche Kinder habe NORMA immerhin durchgesetzt, dass darüber auch durch das Familiengericht entschieden wird und nicht wie früher durch die Sozialbehörden. Beim Treffen mit Parlamentarierinnen erfahren wir außerdem, dass diese im Parlament gerade ein Veto des Präsidenten gegen eine Frauenquote in den Führungsgremien der Unternehmen überstimmt haben – und zwar nicht nur in den Aufsichtsräten von Aktiengesellschaften, sondern in den Vorständen generell!

Norma ist 1998 von Frauen verschiedenster Professionen als multiethnischer Verein gegründet worden. Norma hat es sich zur Aufgabe im Kosovo gemacht, nicht nur Frauenrechte politisch voranzubringen, sondern auch durch gezielte Rechtsberatung Frauen im Kosovo zu stärken. Neben professionellen ehrenamtlich für den Verein tätigen Juristinnen aus verschiedensten Behörden, dem Gerichtswesen und aus der Privatwirtschaft, arbeiten derzeit 30 Mitarbeiterinnen vornehmlich in Projekten. Anfänglich war Norma auf die kostenlose Rechtshilfe spezialisiert. Ihre Arbeit wurde insbesondere von der OSZE, OXFAM und dem UNHCR unterstützt. Die Anwaltskammer sei ihre Schirmorganisation. Neben der klassischen Beratung, die flächendeckend in sieben Büros angeboten wurde, haben die Frauen Workshops zur Gleichberechtigung von Frauen organisiert.

Nach ihren erfolgreichen ersten Jahren wurde, auch auf Initiative des Vereins hin, die Rechtsberatung seit 2006/7 staatlich in Form einer „Agentur für Rechtshilfe“ etabliert. Die Agentur wird über Mittel der kosovarischen Regierung finanziert und hat in sieben der 30 Gemeinden einen Standort. Laut der Juristinnen von Norma viel zu wenig. In diesem Zusammenhang wurde auch berichtet, dass ihre von der Agentur finanzierten Projekte eingestellt wurden, um Parallelstrukturen zu vermeiden. Dabei betonten die Frauen den gesetzlich vorgeschriebenen und unbedingt einzufordernden Einbezug der Zivilgesellschaft, um sie über die Arbeit der Agenturen in Kenntnis zu setzen.

Seither baut der Verein seine Arbeit im Bereich der Policy-Beratung aus. So analysieren sie regelmäßig laufende Gesetzesvorhaben und geben Empfehlungen für Gesetzesänderungen im Bereich der Frauen- und Menschenrechte ab: Bisher gab es 75 Projekte mit entsprechenden Gesetzesempfehlungen. Die Schwerpunkte liegen hierbei im Familien-, Ehe- und Erbrecht. Uns wurde erneut berichtet, die Gesetzgebung sei zwar sehr gut, es mangele aber an der Umsetzung. So würden die Frauen der Rechtsberatung ihre Einzelfälle auch bei der Umsetzung begleiten.

Frau Valbona Salihu nannte hier das Beispiel einer unehelichen Schwangerschaft. Der Frau wurde seitens der Familie des Mannes das Kind weggenommen. Nach erfolgreichem Prozess zugunsten der Mutter, konnte nur unter sehr hohem Aufwand mit Hilfe des Vereins Norma, der kommunalen Sozialbehörde und der Polizei ihr Recht durchgesetzt werden. Immerhin! Fälle von Eigentumsfragen bereiten die größten Probleme. Hier gäbe es Fälle, die seit 20 Jahren ungelöst sind. Die Fragen von Eigentumsklärungen haben uns im Übrigen die ganze Reise begleitet.

Ein wichtiger Aspekt sind laut den berichtenden Frauen nach wie vor auch die patriarchalen Strukturen und die konservative Mentalität, die in der Gesamtbevölkerung sowohl bei Männern als auch Frauen festverankert seien. Ohne eine Mentalitätsänderung ginge es nicht, so die Frauen. Dies erfordere nach Meinung der Frauen das größte Engagement. Um die Frauen zu ermutigen und zu bestärken, ihr Recht einzufordern und auch wahrzunehmen. Frauen seien in Streitfällen oftmals die Opfer, die nicht mutig und selbstsicher genug seien, ihre Rechte wahrzunehmen. Die Frauen sprachen von einem ´stillen Krieg´, den sie führten. Auf Nachfrage von Katja Keul, wie sie die Arbeit des neuen Justizminister bewerteten, wurde vor dem Hintergrund der beschriebenen gesellschaftlichen Entwicklungen betont, der Minister sei sehr engagiert, könne aber alleine auch nichts bewirken. Hier sei - wie oben beschrieben - die gesamte Zivilgesellschaft gefordert. Als multiethnischer Verein habe sich auf Nachfrage zunächst die Arbeit auf die serbische Minderheit ausgerichtet. Nun konzentrierten sich die Frauen auf die Roma-Community. Ihre Lage sei ´katastrophal´, ´sie schäme sich´ für die schlechten Lebensbedingungen und es mache sie sehr betroffen. Auf die Frage, ob sie die Roma-Mahalla in Plementina kenne, sagte sie ´no comment´. Insgesamt wurden 5 Projekte genannt, die vom UNHCR und HelpAge finanziert werden/wurden.

Das Thema Minderheiten wurde in der Regel nie aktiv bei unseren Treffen angesprochen, sondern jeweils nur auf Nachfrage beantwortet. In allen Fällen wurde auf die katastrophale oder schlechte Situation hingewiesen. Die Verfassung sehe zwar dem umfassenden Schutz der anerkannten ethnischen Minderheiten (Serben, Türken, Bosniaken, Gorani sowie Ashkali, Roma und die sog. Ägypter) vor, dies gelte aber, zumindest was die Roma betrifft, nur auf dem Papier. Ebenfalls wurde auf den offenen Brief der im Parlament vertretenen Minderheitenparteien in Bezug auf die fehlende Umsetzung der garantierten Rechte nur zurückhaltend geantwortet.

Auf die Frage, wie wir sie unterstützen könnten oder was wir an die Regierung herantragen sollen, nannten die Frauen drei Themen:

  1. Flächendeckender Ausbau und Unterstützung für die kostenlose Rechtshilfe von Frauen
  2. Unterstützung der Umsetzung von Norma-Empfehlungen für Gesetzesvorhaben, wobei insbesondere die aktuellen Empfehlungen im Bereich des Erbrechtes genannt wurden
  3. Umsetzung der im Gesetz für Rechtshilfe verankerten Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft

II) Militärpräsenz (Bericht Keul)

Gesprächspartner:
Oberstleutnant Kiesel
Soldatinnen und Soldaten im Feldlager Prizren
Brigadegeneral Ralf Hoffmann, Direktor NALT 

Neben KFOR sind im Kosovo auch Nationen mit bilateralen Missionen präsent, darunter die USA, Türkei, GB und Italien. Die NATO ist außerdem mit 43 Soldaten, darunter 11 Deutschen, mit einer Beratungs- und Verbindungsmission (NALT) vor Ort. NALT stellt die direkte Verbindung zum NATO Hauptquartier dar, koordiniert die bilateralen Missionen und berät die kosovarischen Sicherheitskräfte. Direktor von NALT ist der deutsche General Ralf Hoffmann.

Zu unserem Erstaunen hat heute niemand mehr Bedenken gegen die Umwandlung der Kosovo Security Force (KSF) in reguläre Streitkräfte (KAF). Anders als reguläre Streitkräfte verfügen die KSF bislang nur über Bewaffnung zum Eigenschutz. Bei meinem Besuch vor 8 Jahren hat sich auch die deutsche Regierungsseite gegenüber Präsident Thaci noch kritisch eingelassen, der immer schon darauf bestand, dass Kosovo als unabhängiger Staat auch eine Armee bräuchte. Einziges Hindernis ist heute noch die erforderliche Verfassungsänderung, die nur unter Einschluss der serbischen Minderheit im Parlament zustande kommen kann.

Die KSF umfassen derzeit 2500 Soldaten. Bei einer Transformation zur KAF würden diese in einem Zeitrahmen von 10 Jahren auf 5000 anwachsen. Die meisten Soldaten davon seien schlicht zu jung, um vom Krieg vorbelastet zu sein. Die letzten 34 Neueinstellungen seien allesamt Kosovo-Serben, so dass auch die ethnische Vielfalt gewährleistet sei. Die mittlere Führungsebene sei überwiegend im Ausland ausgebildet und hoch qualifiziert. Allein die Generalität sei noch von alten UCK Kämpfern dominiert, was sich allerdings in absehbarer Zeit von selbst erledigen würde. KFOR ist derzeit noch mit 3961 Soldaten vor Ort, davon u.a. die USA mit 685, Italien mit 542, Österreich mit 450 und Ungarn mit 385. Das deutsche Kontingent umfasst noch 370 Soldaten, davon 300 im Feldlager Prizren und 70 in Prishtina.

Die Mandatsgrenze von 800 ergibt sich aus der Funktion des Reservebataillons ORF, das nach dem Auftrag in kürzester Zeit von Deutschland nach Kosovo verlegt werden können soll und 400 Soldaten umfassen würde. Dieses ORF wird Ende des Jahres ebenso beendet, wie die Präsenz der Bundeswehr in Prizren insgesamt. Oberstleutnant Kiesel ist mit seinen Leuten damit beauftragt die Räumung des Lagers zu organisieren und diese bis Jahresende an die UNMIK zu übergeben. Die anderen Nationen sind bereits abgezogen. Es befinden sich nur noch die Deutschen im Feldlager. 55 % der Gebäude bleiben bestehen und stehen für die zivile Nachnutzung (u.a. eine Berufsschule) zur Verfügung.

Die Sicherheitslage ist stabil. Seit 2012 hat es keine Zwischenfälle mehr gegeben. Die Funktion der KFOR als sogenannter „third responder“ nach der KPol und der EULEX Police wird nicht mehr benötigt. Durch den Abzug der Bundeswehr werden etwa 200 lokale Kräfte ihre Arbeit verlieren. Die Bevölkerung ist nicht nur deswegen wenig erfreut über den Abzug. Man sieht auch mit Sorge die wachsende Präsenz der Türkei in Prizren, die auch uns ins Auge fällt. In der größten Moschee haben gerade vor kurzem erst türkische KFOR Soldaten für die türkischen Streitkräfte in Afrin gebeten, was zu erheblichen Spannungen geführt hat. Ein Sicherheitsrisiko durch Islamisten wird derzeit nicht gesehen, wenngleich durchaus Investitionen durch Saudi Arabien beobachtet werden. Im Kosovo schätzt man die Zahl der IS-Rückkehrer auf etwa 200. Die Imame in den Moscheen seien aber insgesamt sehr auf Prävention bedacht.

III) Migration und Integration (Bericht Polat):

Gesprächspartner:

Gerd Maas, BAMF-Verbindungsbeamter
Nrasimha Rao, Leiter des UNHCR
Brandao Co, Leiter des UNICEF
URA II- Rückkehrer-Projekt

1) Short-Briefings durch Herrn Maas BAMF (Mittwoch 30.05.2018), UNICEF durch Herrn Brandão Có und UNHCR durch Herrn N.L. Narasimha Rao (Do 31.05.2018)

Herr Maas ist als Vertreter des BAMF (Migration Attache - Verbindungspersonal BAMF) im Kosovo u.a. verantwortlich für die Rückgeführten und empfängt diese am Flughafen in Pristina. Im Rahmen dieser Tätigkeit arbeitet er eng mit den Projektpartnern von GIZ, dem URA ll – Projekt, zusammen. Wichtig zu wissen ist, dass er maßgeblich verantwortlich für die Berichte ist, die Grundlage u.a. für die Verwaltungsgerichtsbarkeit und die Lageberichte des AA sind. Insofern hat es uns überrascht, dass er im Gegensatz zu allen anderen Gesprächspartnern die Situation der Roma-Community als unproblematisch gesehen hat. In Bezug auf die Rückführungen in jüngerer Vergangenheit betonte er, dass die Abgeschobenen zunehmend gesundheitliche Probleme haben; jetzt also zunehmend die „Kranken abgeschoben würden“, was in Anbetracht der gesundheitlichen Versorgung problematisch sei. Herr Maass machte deutlich, dass sich die medizinische Versorgung, im Gegensatz zu anderen Bereichen im Kosovo, verschlechtert habe. Hier fehle es vor allem an Medikamenten.

Herr Brandão Có (Head of Office UNICEF) hat sich vor allem auf die schlechte Bildungssituation im Kosovo konzentriert, während Herr N.L. Narasimha Rao (Chief of Mission des UNHCR) die aktuell laufenden Programme des UNHCR kurz vorgestellt hat. Vor allem die Zahlen, die UNHCR regelmäßig veröffentlicht, sind sehr hilfreich für die Bewertung zukünftiger Schwerpunkte. Er betonte vor allem, dass die vielen Finanzhilfen im Bereich „housing construction“ nicht nachhaltig wirken, wenn die Menschen keine Arbeit fänden.

2) Besuch der Botschaft - Visaabteilung - hier Westbalkanregelung

Die Visaabteilung wurde personell aufgestockt. Die Abteilung ist in einem Anbau im Vorgarten der Botschaft untergebracht. Wir wussten zwar, dass die Botschaft in Pristina verhältnismäßig viele Anträge bearbeiten muss, doch der Anblick der Abteilung war dann doch sehr heftig. Die Mitarbeiter*innen gehen in Visaanträgen unter. Überall standen „Waschkörbe“ mit Visaanträge und Originalpässen. Es wurde betont, dass die Botschaft Pristina auf Platz drei der Visaantragzahlen stehe. Das heißt, sie stehen mit 35.000 Anträgen direkt hinter der Botschaft Moskau und der Botschaft Peking! Umso eindrücklicher war die nachdrückliche Forderung aller Mitarbeiter, inklusive des deutschen Botschafters, die Visaliberalisierung für die Republik Kosovo zu unterstützen.

Es wurde hervorgehoben, dass es viele ältere Antragsteller gebe, die ein Touristen-Visum beantragen, um ihre Angehörigen besuchen zu können. Dabei gehe es um die Geburt des Enkelkindes und andere Feierlichkeiten, aber auch Beerdigungen. Gleichzeitig wurde darauf hingewiesen, dass gerade die junge Bevölkerung den Kosovo zunehmend als Gefängnis empfindet, da alle anderen Balkanländer die Visafreiheit erhalten haben.

Auf gezielte Nachfrage zur Westbalkanregelung wurden zwei Hinweise gegeben, die nach unserer Meinung nachzubereiten wären. Zum einen werde bei der Umsetzung der Westbalkanregelung in der Botschaft eine umfangreiche Prüfung bzgl. Missbrauch bei der Visavergabe vorgenommen. Hier gehe die Botschaft davon aus, dass Arbeitgeber fingiert sind oder Arbeitsstellen angeboten werden, die im Bereich der ausbeuterischen Tätigkeit einzuordnen wären. Dies trägt natürlich ebenfalls zu den unglaublich langen Wartezeiten bei. Auf die Bemerkung, dass diese Prüfung doch bei der Agentur für Arbeit in Deutschland liege und die Kolleginnen und Kollegen in der Visaabteilung ohnehin stark überlastet seien, wurde etwas zurückgerudert. Darüber hinaus wurde deutlich, dass ebenfalls eine Prüfung stattfindet, ob der Abschluss zumindest für bestimmte Berufe, hier wurden explizit die Heilberufe genannt, als gleichwertig in Deutschland anerkannt ist. Ansonsten erfolge eine Ablehnung. Hier wurde auf das AufenthG verwiesen.

 

Zum Hintergrund der Westbalkanregelung:

Mit Wirkung zum 28.10.2015 wurden die gesetzlichen Bestimmungen für den Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt für Bürgerinnen und Bürger aus Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Mazedonien, Montenegro und Serbien gelockert: Vom 01.01.2016 bis 31.12.2020 können Menschen aus den genannten Ländern in Deutschland für jede Beschäftigung eine Aufenthaltserlaubnis nach § 26 Abs. 2 der Beschäftigungsverordnung (BeschV) erhalten. Ausgenommen sind Tätigkeiten als Leiharbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer. Staatsangehörige aus Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Mazedonien, Montenegro und Serbien, die nach der Regelung ein Visum für eine Beschäftigung beantragen, dürfen innerhalb von 24 Monaten vor Antragstellung keine Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz in Deutschland erhalten haben.  Davon gibt es jedoch eine Ausnahme für Personen, die nach dem 01.01.2015 und vor dem 24.10.2015 einen Asylantrag gestellt hatten, sich am 24.10.2015 gestattet, mit Duldung oder ausreisepflichtig aufgehalten haben und zudem „unverzüglich ausreisen“. Die deutschen Botschaften in Belgrad, Tirana und Pristina legen in ihren Hinweisen zu der Regelung nach § 26 Abs. 2 Beschv fest, dass eine Ausreise nach dem 4. Mai 2016 nicht mehr „unverzüglich“ sei (siehe hierhier und hier). Wobei bspw. das Niedersächsische Innenministerium daraufhin in einem Runderlass (hier) die Ausländerbehörden informiert hat, dass es sich um eine „widerlegbare Regelvermutung handele“. In „begründeten Einzelfällen“ könnten die Ausländerbehörden daher eine Bescheinigung ausstellen, mit der bestätigt wird, dass es sich um eine „unverzügliche Ausreise“ im Sinne des § 26 Abs. 2 BeschV handelt. Mittlerweile liegen uns Entscheidungen von Botschaften vor, bei denen trotz Vorliegens einer solchen Bescheinigung durch die Ausländerbehörde die Botschaft entschieden hat, dass das Kriterium der „unverzüglichen Ausreise“ nicht mehr erfüllt sei und der Visumsantrag kurzer Hand abgelehnt wurde.

Für diese Personengruppe ist eine Wiedereinreise ab dem 1.1.2016 möglich, sofern ein Jobangebot und die visarechtlichen Voraussetzungen erfüllt werden, sowie die zuständige deutsche Ausländerbehörde einer Wiedereinreise zustimmt. (Quelle: Arbeitsagentur und Flüchtlingsrat Niedersachsen)

Die Terminvergabe erfolgt zentral.

3) URA II

Das „Reintegrationsprojekt URA (Alb. Die Brücke)“ existiert mittlerweile seit 10 Jahren. Ende 2006 startete URA als EU-Projekt und wird seit 2009 im Auftrag der Bundesrepublik, des BAMF, der neun projektbeteiligten Bundesländer (Baden-Württemberg, Berlin, Bremen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen) und im Auftrag der GIZ. Letztere ist seit 2016 für das Projekt verantwortlich. Es ist EU-weit das größte seiner Art. Ziel des Projekts ist durch „nachhaltige Reintegration“ den kohärenten Ansatz der Bundesregierung im Bereich Rückkehr umzusetzen (S.9 Broschüre URA, BAMF). Hierbei wird die Qualifikation potentieller Arbeitnehmer*innen für den lokalen Arbeitsmarkt gefördert oder die Selbstständigkeit unterstützt. Im Zentrum stehen individuelle Sozialberatung, Arbeitsvermittlung, die psychologische Betreuung und je nach Bedarf finanzielle Hilfen. Diese wird derzeit von 20 Mitarbeiter*innen übernommen. Dabei betreut jeweils eine Sozialberaterin/ ein Sozialberater und eine Arbeitsvermittlerin/ ein Arbeitsvermittler die Familien oder Einzelpersonen im Team. Hierbei wird mit lokalen NGOs oder anderen Projektträgern wie der AWO Nürnberg oder Diakonie Kosova kooperiert. Aufgrund der hohen Zahlen an freiwilligen Rückkehrer*innen und zwangsweise Abgeschobenen im Jahr 2017 hatten die Mitarbeiter*innen von URAII teilweise bis zu 100 Fälle pro Tag in der Beratung. Den größten Anteil an zwangsweise Rückgeführten machen Personen aus Baden-Württemberg aus. Die Zahlen sind dem Anhang insgesamt zu entnehmen.

4) DIMAK (Xhelal Derguti, Koordinator Migration und Diaspora der GIZ), Edmond Gashi (National Koordinator, PME/DIMAK GIZ)

Der Besuch des Deutschen Informationszentrums für Migration, Ausbildung und Karriere (DIMAK) im Kosovo war sehr interessant. Das Beratungszentrum war laut Aussage der Mitarbeiter die Blaupause für andere Migrationszentren, die weltweit aufgebaut wurden und werden. DIMAK ist Teil des Globalvorhabens „Programm Migration für Entwicklung“ (PME) und wird im Auftrag des BMZ in ausgewählten Partnerländer implementiert und finanziert. Das PME wiederum ist ein Programm des Centrums für internationale Migration und Entwicklung (CIM), einer Arbeitsgemeinschaft der GIZ GmbH und der Zentralen Auslands- und Fachvermittlung der Bundesagentur für Arbeit.

Das Beratungszentrum bündelt Informationen zu Ausbildungs- und Jobmöglichkeiten im Herkunftsland und Deutschland. Neben diesen Informationen und einer individuellen Beratung der Klienten bietet das DIMAK auch Schulungen zu unternehmerischer Kompetenz und Bewerbungstrainings an. Das Beratungs- und Trainingsangebot ist kostenlos. Wichtigstes Thema bei den diversen Treffen war unbestritten die Visaliberalisierung. Kosovo ist das einzige Land im Westbalkan, für das noch keine Visafreiheit in den Schengen-Raum gilt.

5) Ausbildungszentrum Diakonie Kosova, Herr Baumgarten

Die Diakonie Kosova bietet in erster Linie Rückgeführten aus Deutschland Möglichkeiten zur Qualifizierung für den kosovarischen Arbeitsmarkt. Es existiert eine Reihe von Ausbildungsräumen für Elektriker*innen, Friseur*innen, Maurer*innen, Maler*innen, IT-Techniker*innen, Trockenbauer*innen und Wasserinstallateur*innen, Näher*nnen und Hilfsköch*innen (neu). Herr Baumgarten (Diakonie Kosova) stellte dabei die Arbeit des Projektes vor und erläuterte darüber hinaus dessen Finanzierung, wobei er um Unterstützung bat. Im Gegensatz zum Land Baden-Württemberg zeige sich Bayern beispielsweise aufgeschlossen, das Projekt zu unterstützen.

Er betonte, dass die Ausbildung im Kosovo in der Regel überbetrieblich organisiert ist. Das heißt, in diesen technischen Schulen fehle es oft an Praxis. Oft lerne man auch nur bei seinem Vater oder werde erst in einem Beruf angelernt. In diesen Fällen fehle es natürlich ein wenig an Theorie. Wer hingegen studiert hat, muss ebenfalls zunächst einmal den Weg in die Praxis finden. Das sei die ganze Krux. Ebenfalls arbeite die Diakonie im Bereich der Traumabehandlung. Wer zurückkehrt, könne im Zentrum traumatherapeutisch begleitet werden; außerdem habe man im gesamten Kosovo ein Netzwerk von Ärzten, Soziologen und auch Sozialarbeitern.

IV) Ökologie:

Das Thema Umweltschutz begegnet uns an verschiedenen Stellen, auch wenn es nicht Schwerpunkt unserer Reise war. Schon bei der Ankunft fällt ins Auge, dass die vor Jahren noch flächendeckende Verschmutzung der Landschaft mit Plastikmüll nahezu verschwunden ist. Hier hat es deutlich sichtbare Verbesserungen gegeben. Großes Problem sind nach wie vor die wilden Mülldeponien, insbesondere auch Giftmülldeponien. Die KFOR Truppen unterstützen die Regierung im Kampf gegen die Deponien, indem sie das Land überfliegt und diese aus der Luft kontrolliert.

Die Energieversorgung ist nach wie vor eine Katastrophe. Das in der Nähe der Hauptstadt befindliche einzige Braunkohlekraftwerk verursacht eine Luftverschmutzung, die den Menschen besonders im Winter das Leben schwer macht. Wir haben das Glück bei klarem Wetter und guter Luft dort zu sein. Allerdings sehen wir an verschiedenen Stellen die Warnanzeigen in Form von Ampeln für die Luftqualität, die uns klar machen, dass diese durchaus nicht immer auf Grün stehen. Es begegnet uns auf der Autobahn ein großer LKW Transport mit Windradelementen und wir hören von den Parlamentariern, dass Windkraft Parks im Aufbau sind. Die einzigen 3 Windräder, die wir sehen stehen allerdings still, wie sie wohl vor Jahren ohne die erforderliche Betriebsgenehmigung errichtet worden sind.

Leider gibt es auch ein unsinniges Subventionsprogramm für kleine Wasserkraftwerke, was zu Tausenden Bauanträgen geführt hat und eine Katastrophe für die Flüsse und die Wasserversorgung bedeuten würde, ohne in relevanter Weise zur Stromversorgung beitragen zu können.