Filiz Polat zum Bericht der Unabhängigen Kommission Antiziganismus (24. Juni 2021)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen! Sehr geehrte Vertreter/-innen des Zentralrates! Lieber Romani Rose! Der Bericht der Unabhängigen Kommission Antiziganismus 75 Jahre nach dem Holocaust, nach dem Porajmos an 500 000 Sinti_ze und Rom_nja ist ein historischer Meilenstein. Um Romani Rose zu zitieren: Ein erster und „wichtiger Schritt für die Minderheit und ebenso für die demokratische Verfasstheit unserer Gesellschaft“. Ich möchte mich im Namen meiner gesamten Fraktion bei den Expertinnen und Experten für diese wirklich wertvolle Arbeit bedanken.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)

Meine Damen und Herren, die exemplarischen Beispiele im Bericht zeigen, wie zersetzend der Rassismus gegenüber Sinti_ze und Rom_nja und für unsere Demokratie selbst ist. Bis heute zieht er sich wie ein roter Faden durch unsere Gesellschaft und staatlichen Institutionen: Justiz, Polizei, Schule und viele mehr.

Nicht nur wurde der NS-Völkermord lange Zeit nicht anerkannt, auch Praktiken der Stigmatisierung und Sondererfassung wurden einfach fortgeführt – bis heute.

Auch die Studien zur Jetztzeit, die in Auftrag gegeben wurden, zeigen ein ganz erschreckendes Bild. Heute haben wir noch einmal Beispiele gehört, dass es Schulen in Deutschland gibt, die Sondereingänge für Romakinder haben.

Das hat schwerwiegende Auswirkungen auf alle Lebensbereiche. Viele Sinti_ze und Rom_nja trauen sich bis heute nicht, ihre Identität zu offenbaren, ja, aus Angst vor Herabwürdigungen. Das wollen und werden wir nicht mehr hinnehmen, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Zu Recht mahnen Sie, Herr Rose, dass es insbesondere Aufgabe der Politik ist, für den notwendigen Zusammenhalt in einer demokratischen Gesellschaft gerade auch durch den Schutz

(Markus Frohnmaier [AfD]: Nicht durch Verbote!)

und die gesellschaftliche Gleichstellung von Minderheiten zu sorgen. Dem fühlen wir uns verpflichtet. Ich möchte aus Sicht der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen einige relevante Punkte aus dem Bericht hervorheben. Die Benachteiligung in der Wiedergutmachungspraxis nach 1945 gilt es schnellstmöglich und umfassend auszugleichen, beispielsweise durch die Einrichtung eines Sonderfonds, die Einrichtung einer Kommission zur Aufarbeitung des Unrechts nach 1945 – die Wahrheitskommission –, die Anerkennung geflüchteter Roma als besonders schutzwürdige Gruppe sowie die Forderung nach Repräsentation von Sinti_ze und Rom_nja in allen staatlichen Gremien, beispielsweise auch in den Rundfunkräten. Es gilt, noch in dieser Legislaturperiode eine Bund-Länder-Kommission einzurichten – das ist ganz wichtig – und einen unabhängigen Antiziganismusbeauftragten zu benennen. Wir brauchen ein koordiniertes Vorgehen zwischen Bund, Ländern und Kommunen, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Simone Barrientos [DIE LINKE])

Die EU-Kommission wartet bis September auf einen Vorschlag, wie die Umsetzung der neuen EU-Roma-Rahmenstrategie erfolgen soll. Die nationale Strategie darf keine leere Worthülse bleiben, sondern muss als gesamtstaatliche Aufgabe mit Leben gefüllt werden. Der Bericht muss jetzt entsprechend eingearbeitet werden.

Meine Damen und Herren, dieser Meilenstein nach 75 Jahren ist kein Ende, er ist ein Anfang. Lassen Sie uns heute beginnen, die Kommissionforderungen umzusetzen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)