Filiz Polat zum Fachkräfteeinwanderungsgesetz (7. Juni 2019)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute könnte ein historischer Tag sein: Die Union - das ist so - bekennt sich erstmalig zum Einwanderungsland Deutschland. Aber dieses Bekenntnis hilft nicht, bleibt der so dringend nötige Paradigmenwechsel im Einwanderungsrecht aus. Und so setzt die Bundesregierung auch dieses Projekt in den Sand. Ein echtes Einwanderungsgesetz hätte ein Meilenstein werden können; aber wenn in einem Gesetz im Titel „Einwanderung“ steht, bedeutet das noch lange nicht, dass auch Einwanderung drinsteckt. Wer Arbeitsmigration aus Drittstaaten befördern will, muss den Menschen in den Mittelpunkt stellen und flexibel auf die Bedarfe unseres Arbeitsmarktes reagieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Einreise für Nicht-EU-Bürger und -Bürgerinnen ist nach wie vor schwierig. So bewegt sich die Einwanderung zu Erwerbszwecken nach wie vor im einstelligen Bereich. Herr Professor Dr. Brücker hat es in der Sachverständigenanhörung gesagt: 2017 lag sie bei 5 Prozent. - Wer dann überhaupt noch einreist und die Familienangehörigen später gegebenenfalls nachholen möchte, erlebt einen Gang durch die Mühlen der Bürokratie, der nicht selten mit einem Ablehnungsbescheid zum Visumsantrag endet. So sind wir natürlich kein attraktives Einwanderungsland, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Bündnis 90/Die Grünen haben immer für die Chancen der Einwanderung geworben und haben seit Jahren immer wieder aufgezeigt, dass wir ein faires, transparentes Einwanderungsgesetz brauchen, das auch einladend ist. Ein Einwanderungsgesetz, das seinen Namen verdient, muss transparent, globalisierungstauglich und fair sein, und dafür - der festen Überzeugung sind wir - braucht es ein Punktesystem und einen echten Spurwechsel.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Wir müssen aber auch attraktiv sein, und dazu gehören sowohl die Aussicht auf einen schnellen unbefristeten Aufenthaltstitel als auch die Perspektive auf eine erleichterte Einbürgerung. Deshalb haben wir in unseren Gesetzentwurf die erleichterte Einbürgerung im Rahmen einer Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes aufgenommen.

Meine Damen und Herren, die in Ihrem Entwurf neugeschaffenen Einwanderungsmöglichkeiten zur Berufsausbildung oder zur Einreise zur Anerkennung des im Ausland erworbenen Abschlusses werden allerdings mit so hohen Voraussetzungen überfrachtet, dass diese in der Praxis zu einer Einzelfallregelung verkommen werden. Ich will ein Beispiel nennen: Ein Auszubildender muss, wenn er aus dem Ausland kommt, eine Hochschulzugangsberechtigung vorweisen. Das muss ein deutscher Auszubildender nicht; da reicht ein qualifizierter Schulabschluss. Warum diese Ungleichbehandlung, meine Damen und Herren?

(Thorsten Frei (CDU/CSU): Weil es Unterschiede gibt!)

Gleichzeitig scheint die Bundesregierung den Fachkräftemangel nicht ernst zu nehmen; denn mit Ihrem Entwurf lassen Sie vor allem die vielen kleinen und mittelständischen Unternehmen im Stich, die auf Arbeitskräfte aus dem Ausland angewiesen sind. So schreibt Dinah Riese in der „taz“ heute treffend in ihrem Kommentar:

Dem „Wir wollen Einwanderung“ der SPD setzte der Koalitionspartner sein „Wir wollen Abschiebungen“ entgegen.

Laut dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz ist es in erster Linie nötig, das inländische Potenzial zu heben.

(Ulli Nissen (SPD): Was war in Hessen? Hessen schiebt nach Afghanistan ab!)

Ja, das inländische Potenzial, meine Damen und Herren. Dazu gehören aber auch die 130 000 erwerbsfähigen Geduldeten in diesem Land. Das wollen wir mit einer Initiative zur erleichterten Bleiberechtsregelung ändern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Ulli Nissen (SPD): Was macht ihr in euren Bundesländern? Das ist eine spannende Frage!)

So ist Ihr Vorschlag zum Ausbildungs- und Beschäftigungsduldungsgesetz vollkommen unzureichend. Er wird für Tausende Geduldete trotz gelungener Integration die Abschiebung bedeuten, meine Damen und Herren. Statt Perspektiven zu schaffen, werden Auszubildende - der Überzeugung sind wir - von der Werkbank abgeschoben. Sie brauchen nur nach Bayern zu kucken; das ist heute dort schon Realität.

(Dr. Karamba Diaby (SPD): In Hessen auch!)

Wir Grünen haben hier heute als einzige Fraktion eine Globalalternative vorgelegt, die die nötige Einwanderung tatsächlich ermöglicht. Unser Gesetzentwurf ist übersichtlicher und einfacher gestaltet. Wir haben eine deutliche Straffung und Systematisierung vorgenommen. Neben den aus dem Unionsrecht abgeleiteten Aufenthaltserlaubnissen fassen wir die Aufenthaltserlaubnisse zu Ausbildung, Bildung und Arbeitsmigration auf nur noch sechs zusammen. Das ist wirklich ein einfaches Einwanderungsrecht.

Vizepräsident Thomas Oppermann:

Frau Polat, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Filiz Polat (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Nein. - Nach wie vor ist - das wurde in der Sachverständigenanhörung deutlich - die Anerkennung von im Ausland erworbenen Abschlüssen ein weiteres großes Problem. Auch dieses Problem lösen Sie nicht. Wir lösen das Problem - das wurde vom Deutschen Verein gelobt -, indem wir die informell erworbenen Abschlüsse akzeptieren, angelehnt an die Qualifikation im Sinne der Empfehlung des Europäischen Qualifikationsrahmens für lebenslanges Lernen. Auch hier bieten wir eine echte Alternative.

Mit der Einführung einer „Talentkarte“ auf Basis eines kriterienbasierten Punktesystems können sich Arbeitskräfte in Deutschland unbürokratisch einen Job oder eine Ausbildung suchen. Das bietet nicht nur die Chance, flexibel auf die Bedarfe des Arbeitsmarktes zu reagieren, sondern ermöglicht Einwanderungswilligen auch ein transparentes und faires Verfahren.

Mit unserem modernen Einwanderungsgesetz ermöglichen wir Einwanderung, stellen die Talente der Menschen in den Mittelpunkt und sorgen gleichzeitig dafür, dass wir den Bedarf an Arbeitskräften auch in Zukunft decken können.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nicht zuletzt - ich habe es bereits gesagt - wollen wir in Deutschland lebenden Asylsuchenden und Geduldeten durch einen Spurwechsel die Möglichkeit der Arbeitsaufnahme, der Ausbildung und des Studiums gewähren. Das ist bitter nötig; denn Ausbildung statt Abschiebung und echte Bleibeperspektiven sind unsere Antwort auf die Einwanderungsverhinderungspolitik der Bundesregierung, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich komme zum Schluss: Der schwarz-roten Koalition fehlen Mut, Überzeugung und Innovationskraft für einen großen Wurf in der Migrationspolitik. Ein wirksames und praxistaugliches Einwanderungsgesetz und ein echter Spurwechsel sind keine Wohltat, sondern notwendig und längst überfällig.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)